Die 20 Landeskirchen, der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Bundesvorstand der Diakonie Deutschland haben in einer gemeinsamen Erklärung auf die ForuM-Studie reagiert. Für die EKD-Synode im November wird im Beteiligungsforum ein umfangreicher Maßnahmenkatalog erarbeitet. In diesem Zusammenhang werden auch die Anerkennungsverfahren und Anerkennungsleistungen neu definiert. Inzwischen liegt zudem der Entwurf eines Gesetzes zu Schutz und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt vor. „Die EKD und die Diakonie Deutschland begrüßen und unterstützen mit Nachdruck, dass mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben die staatlichen Strukturen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt und zu deren Aufarbeitung deutlich gestärkt werden“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme von EKD und Diakonie. In dieser Stellungnahme geben wir wichtige Anregungen. Dabei geht es u. a. darum, dass es eine Weitung über sexualisierte Gewalt gegen Kinder hinaus geben sollte. Außerdem regen Kirche und Diakonie eine Präzisierung beim Recht auf Akteneinsicht und eine weitergehende Stärkung der Ausstattung der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM).
Welche Schritte sind in der Evangelischen Kirche im Rheinland seither erfolgt?
Was sich seit der ForuM-Studie in Sachen regionaler Aufarbeitung getan hat.
Am 26. Februar dieses Jahres wurde in Wuppertal der Verbund West zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegründet. Die entsprechende Erklärung als Grundlage für eine gemeinsame Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission wurde von den Leitungen der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Lippischen Landeskirche und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe unterzeichnet. Seit dem 1. Juni ist auch die Stelle der Geschäftsführung besetzt. Die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und dem Saarland sind angefragt, unabhängige Expert*innen für die Kommission vorzuschlagen. Das Land Rheinland-Pfalz lässt sich durch Nordrhein-Westfalen mit vertreten. In Hessen haben wir mit Blick auf unseren kleinen Anteil auf eine Anfrage verzichtet. Derzeit bereiten Staatsanwält*innen die Personalakten der an die ForuM-Studie gemeldeten Fälle auf, damit die Kommission eine gute Arbeitsgrundlage hat.
Wie die Betroffenen beteiligt werden sollen.
Die Gemeinsame Erklärung von EKD, Diakonie Deutschland und Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) sieht die Organisation von Betroffenenforen vor. Für den Verbund West hat eine solche Veranstaltung am 21. Juni 2024 im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund stattgefunden. Im Rahmen der Veranstaltung, die extern moderiert wurde, meldeten sich Interessierte für die Teilnahme an Workshops, in denen Betroffene ihre zwei Vertreter*innen für die siebenköpfige Aufarbeitungskommission finden und beauftragen können. Die Workshops sollen im September stattfinden. Der Kommission gehören daneben noch drei unabhängige Expert*innen auf Vorschlag der Bundesländer und zwei Mitarbeitende von Kirche und Diakonie an. Kirchlich Beschäftigte dürfen in der Kommission keine Mehrheit haben.
Ein Plakat der rheinischen Kirche ermutigt Betroffene zudem, von ihren Erfahrungen zu berichten und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch Zeug*innen werden gebeten, ihre Beobachtungen, die möglicherweise auch schon lange zurückliegen, zu teilen.
Welche Veränderungen es in der Stabsstelle Aufarbeitung und Prävention gibt.
Die Stabsstelle wurde personell verstärkt und ihre Organisationsstruktur an die wachsenden Herausforderungen angepasst. Zum 1. Juni hat eine Interventionsmanagerin ihren Dienst aufgenommen. Sie koordiniert die Fallbearbeitung nach Meldung und sorgt dafür, Beteiligte über den Fortlauf eines Verfahrens zu informieren. Eine weitere Stelle soll die Aufarbeitung unterstützen. Zudem wird die Leitung der Stabsstelle neu mit einer ganzen Stelle besetzt. Neben der Meldestelle ist auch die Ansprechstelle für Betroffene inzwischen in die Stabsstelle integriert.
Warum jetzt auch Kirchenkreise und Gemeinden gefordert sind.
Akten und Personalverantwortung für alle kirchlich Beschäftigten jenseits des Pfarrdienstes liegen auf Gemeinde- oder Kirchenkreisebene. Diese Verantwortung als Anstellungsträger kann nicht an andere Ebenen delegiert werden. Ein Leitfaden, der gerade entsteht, fasst zusammen, wer auf welcher Ebene für was zuständig ist. Gearbeitet wird an gemeinsamen Standards für die Aktendurchsicht und an der Frage, wie mit den Akten von Pfarrpersonen umgegangen wird, die sich noch in den Kirchenkreisen befinden. Nicht zuletzt ist das Wissen vor Ort über die Aktenlage hinaus unerlässlich für den Aufarbeitungsprozess von Altfällen.
Woran sonst noch gearbeitet wird.
Die rheinische Kirche bereitet eine Studie zu sexualisierter Gewalt in ehemaligen evangelischen Internaten auf ihrem Kirchengebiet vor. Ergebnisse einer Vorstudie sollen bereits im Laufe des Sommers vorliegen. Mehrere Ausschüsse erarbeiten derzeit unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der ForuM-Studie Materialien zum Umgang mit Macht, struktureller Gewalt sowie Schuld in der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Wo man sich über neue Entwicklungen informieren kann.
An erster Stelle lege ich Ihnen weiterhin auf der Homepage ekir.de unsere Themenseite „Sexualisierte Gewalt und Kirche“ ans Herz – und darauf besonders die häufig gestellten Fragen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt, die regelmäßig aktualisiert werden. Auf der Themenseite sind auch alle wichtigen Kontaktdaten zu finden: von der Ansprechstelle für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung über die zentrale Meldestelle für begründete Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt bis zur Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS) bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, zuständig für Anträge auf Leistung in Anerkennung des erlittenen Leids.
Wie es um Präventionsschulungen steht.
Seit Jahren wird intensiv darauf hingearbeitet, dass entsprechend unserer Vorgaben zu den Schutzkonzepten alle beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitenden eine Präventionsschulung durchlaufen. Allein mit dem Material der EKD-Präventions-Initiative „hinschauen – helfen – handeln“ erfolgten bisher 828 Schulungen mit 10.377 Teilnehmenden (Stand Dezember 2023). Weitere, statistisch nicht erfasste Schulungen wurden und werden auf der Basis anderer Konzepte durchgeführt. Immer wieder wird darüber diskutiert, ob es wirklich notwendig sei, dass auch die beispielhaft oft genannte 78-jährige Gemeindebrief-Verteilerin geschult werden müsse.
Die Antwort ist klar: Ja! Auch sie gehört wie Pfarrer*innen, Presbyter*innen, Jugendmitarbeiter*innen und viele andere mehr zu denen, die den Unterschied machen können: Es geht um die Etablierung einer Kultur der Aufmerksamkeit, an der alle beruflich und ehrenamtlich Tätigen beteiligt sein müssen. Es geht darum, Menschen für die Wahrnehmung von Vorgängen, die nicht in Ordnung sind, zu sensibilisieren. Landeskirchenweit sind genügend Multiplikator*innen geschult, die vor Ort entsprechende Schulungen durchführen können – ihr Potenzial muss allerdings auch abgerufen werden.
Christoph Pistorius
Vizepräses
Beauftragter der Kirchenleitung für Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt