Wahlkampf im Advent

Bereitet dem Herrn den Weg“ – Wahlkampf im Advent –

Advent ist eine Zeit der Vorbereitung, der Ankunft. Klar, auch der Ankunft des alljährlichen Familienfests mit Weihnachtsessen, Plätzchen und Geschenken für Frau, Mann, Kind, Oma, Opa, Freunde, Hund, Katze, Maus. Aber zuallererst und vor allem anderen von Christus als dem Herrn der Welt. Von diesem einen Herrn, der völlig anders ist als alle vermeintlichen Herren der Welt. Von seinem Friedensreich singen die Adventslieder: mal fröhlich triumphierend „Tochter Zion, freue dich“, mal sehnsüchtig klagend „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Christi Herrschaft mitten unter uns, in der Frieden und Gerechtigkeit sich küssen, Licht im Finstern scheint und Arme eine frohe Botschaft hören. Sich darauf vorzubereiten, hilft mir, meine Hoffnung zu wahren und mich selbst neu auszurichten. „Siehe, der Herr kommt gewaltig.“ Dafür sind vier Wochen Advent nicht viel.

Nun führt das Ampel-Aus in diesem Jahr dazu, dass der Wahlkampf mitten in den Advent fällt. Was für eine Unzeit! Gefühlt sind die meisten ohnehin jahreserschöpft, virengeplagt oder weihnachtsreif. Die Zeit des Jahres, in der wir einkehren, umkehren, zur Besinnung kommen könnten  – nun angefüllt mit Wahlprogrammen und Werbekampagnen auf Weihnachtsmärkten. Alles hat seine Zeit – aber Wahlkampf im Advent?! Das klingt wie ein Plan zur Steigerung kollektiver Selbsterschöpfung und zur Abschaffung der Stille.

Doch vielleicht gibt es bei dieser unzeitigen Terminierung auch etwas Gutes. Dann nämlich, wenn die Botschaft von Weihnachten, von der Geburt Christi als Friedenskönig und Herr der Welt, tatsächlich den Wahlkampf verändert. Daher keine frommen Wünsche, sondern geistliche Impulse für den Wahlkampf im Advent:

1. Adventliche Demut. Die Kandidat/innen aller Parteien sind nicht Herren dieser Welt, sondern Diener des Volkes. Sie tun gut daran, sich vor falscher Selbstüberhebung zu hüten, sich der eigenen Irrtumsfähigkeit bewusst zu sein und verantwortlich zu reden, zu leben und zu entscheiden – angesichts Jesu Christi als des einen Herrn der Welt, auf dessen Kommen wir hoffen. Nach Artikel 21 des Grundgesetzes ist es die Aufgabe der Parteien, zur „politischen Willensbildung des Volkes“ beizutragen. Nicht mehr und nicht weniger. Die Ziele der Parteien – und das Verhalten ihrer Anhänger – dürfen dabei die freiheitlich-demokratische Grundordnung weder beeinträchtigen noch beseitigen. Sonst sind sie verfassungswidrig und von staatlicher Finanzierung auszuschließen. „Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt.“ Manche Adventslieder bekommen im Spiegel des Wahlkampfs einen neuen Klang. Sie weiten den Horizont politischen Wettkampfs heilsam hin auf die Ewigkeit Gottes.

2. Wir wählen Werte. Es geht bei der Wahl nicht nur um Parteiprogramme und Spitzenkandidat/innen, sondern immer auch um Grundfragen der Menschlichkeit. Wir wählen Werte. Es geht um Fragen von „Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt“ – so eine Aktion der christlichen Kirchen in Sachsen anlässlich der Landtagswahl in diesem Jahr. Wie diese Werte konkret in Sozial-, Arbeits-, Wirtschafts-, Bildungs-, Sicherheits- oder Asylpolitik umgesetzt werden, dazu kann und muss es in einer Demokratie unterschiedliche Positionen geben. Aber die Werte an sich dürfen niemals zur Disposition stehen. Das widerspräche dem Gebot Jesu Christi, dass wir Gott und unseren Mitmenschen lieben sollen. Und es widerspricht dem Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie es in der Präambel und in Art. 1 des Grundgesetzes ausgedrückt ist: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk […] dieses Grundgesetz gegeben.“ „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Wohlgemerkt, es geht hier um Rechte von allen Menschen, nicht nur von deutschen Bundesbürger/innen. Menschenrechte kennen – wie das doppelte Liebesgebot – keine nationalen, ethnischen oder sonstigen Grenzen.

3. Advent ist Zeit der Umkehr. „Bereitet doch fein tüchtig den Weg dem großen Gast. Macht seine Steige richtig. Lasst alles, was er hasst. […] Die Täler all erhöhet, macht niedrig, was hoch stehet, was krumm ist, gleich und schlicht.“
Ich finde es eine wichtige Prüffrage für alle Parteiprogramme, wie sie zur notwendigen Umkehr beitragen – damit wir unserer Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gemeinsam nachkommen. Unsere Gesellschaft und unsere Demokratie stehen unter massiven Belastungen – Stichwort Polykrise. Und wir haben eine gemeinsame Menschheitsaufgabe, Gottes Schöpfung auf diesem Planeten zu erhalten. Für uns und für unsere Kinder. All das wird nicht ohne tiefgreifende Änderungen unserer Lebensweise gelingen – Stichwort sozial-ökologische Transformation. Es ist wichtig, dass Politiker/innen diese Aufgaben klar benennen, echte Lösungen anbieten – und keine populistischen Scheinlösungen versprechen, schon gar nicht auf Kosten irgendwelcher Minderheiten.

4. Verantwortlich leben – der innere Wahlkampf in mir. Die biblischen Geschichten des Advents handeln davon, wie Menschen sich im inneren Streit der Stimmen für Gottes Botschaft entscheiden und Verantwortung für andere übernehmen: Maria, als sie die Botschaft des Engels und das Kind in ihrem Bauch bejaht; Josef, als er seiner Verlobten treu bleibt; die Weisen wie die Hirten, die sich auf den Weg zum neugeborenen Christus machen. Auch unsere Demokratie lebt davon, dass sich Menschen bewegen lassen und Verantwortung übernehmen. Wir sind oft gut darin, auf „die da oben“ zu schimpfen. Und oft werden unsere Politiker/innen per se schlecht geredet. Ich frage dann gerne zurück, wer von den Kritiker/innen selbst in einer Partei ist oder sich anders politisch engagiert. Das macht Mühe: sich politisch zu informieren, zu Sitzungen oder Demonstrationen zu gehen, an Programmen zu arbeiten, mit anderen zu diskutieren. Doch wir brauchen ehrenamtliches Engagement, Gemeinschaft und Institutionen – im Glauben wie in der Politik. Wahlkampf ist eine Zeit, in der jede Bürgerin, jeder Bürger Verantwortung trägt. Mit der wohlfeilen Kritik an „denen da oben“ wäre es auch bei der Weihnachtsgeschichte nichts geworden.

Und 5. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Es ist das eine, was Menschen sagen – und ein anderes, was Menschen tun. Im Advent feiern wir, dass Gott Mensch wird – sein Wort wird Fleisch unter uns (Johannes-Evangelium Kapitel 1). Gott spricht nicht nur von Liebe. Gott ist Liebe und lebt sie. Gott macht sich für uns klein und schwach, damit wir groß und stark werden. „Walk the talk.“ Das ist auch wichtig für politische Verantwortungsträger. Entscheidend ist ihre Haltung, ihre Integrität, mit der sie Werte von Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt leben. Und ob sie so mit ihrem Reden und Leben anderen Hoffnung geben. Es gibt keinen Grund für politischen Fatalismus oder Pessimismus. Dass die Aufgaben groß sind, ist das eine. Doch entscheidend ist, wie wir mit ihnen umgehen. Ob wir mutig und verantwortlich handeln – und ob wir uns dabei vom Geist Christi leiten lassen. Von dem Geist des Herrn der Welt, der mitten unter uns gegenwärtig ist – und auf dessen sichtbares Kommen wir warten.

Wahlkampf im Advent. Eine ungewöhnliche Terminierung für uns als Gesellschaft. Aus ihr nehme ich aber vor allem etwas für mich persönlich mit.

– Ich möchte mich darin üben, adventliche Demut zu lernen. Wir sind nicht Herren des Glaubens anderer, sondern Diener ihrer Freude, so formuliert es Paulus (2. Brief an die Korinther, Kapitel 1, Vers 24). Christus allein ist unser Herr, auf ihn warten wir. Wir sind alle Geschwister. Mich selbst lieb, ernst, wichtig nehmen, aber eben nicht zu sehr.

– Ich möchte mich darin üben, Werte zu wählen – in den großen und kleinen Entscheidungen meines Alltags. Was heißt Menschenwürde, Nächstenliebe, Zusammenhalt ganz konkret: wenn ich arbeite, einkaufe, esse, frei habe, reise? Wie prägt das mein Zusammenleben mit den Menschen, die Gott mir an meine Seite gegeben hat?

– Ich möchte mich darin üben umzukehren. Immer wieder neu. Mit Luther gesprochen: Glauben ist „nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden. […] Nicht eine Ruhe, aber eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden es aber“.

– Ich möchte mich darin üben, verantwortlich zu leben. Im Streit der vielen Stimmen, die ich Tag für Tag höre, auf Gott zu hören. Mich von Gott rufen zu lassen. Und mit meinem Leben zu antworten. Indem ich für andere Verantwortung übernehme.

– Und ich möchte mich darin üben, auf meine Lebensfrüchte zu achten. So leben, dass es keine bittere Beere für andere ist. Sondern eine Traube, die etwas vom Geschmack von Glaube, Liebe, Hoffnung in sich trägt.

Wahlkampf im Advent. Möge der Geist Jesu Christi dabei unter uns gegenwärtig sein.


Titelbild: EKiR.de

Klima(krise) im Advent

„I’m dreaming of a white Christmas.“ Für viele gehört das zum Bild eines friedvollen Festes: weiß bedeckte Tannen, Schlitten mit Glocken, Schnee, der die Welt stiller, friedlicher macht. Doch der Traum von weißen Weihnachten könnte schon sehr bald Schnee von gestern sein. Wir erleben 2024 das heißeste Jahr, seit es Klimaaufzeichnungen gibt. Die 1,5-Grad-Grenze im Vergleich zur vorindustriellen Zeit wird schon jetzt überschritten. Mit verheerenden Folgen: Extremwetter wie jüngst etwa in Spanien. Dürren, Wüsten, Hungersnöte in anderen Erdteilen. Und ganze Inselstaaten, die absehbar verschwinden.

Angesichts dessen sind die Ergebnisse der inzwischen sage und schreibe 29. Weltklimakonferenz der UN in Baku ein Skandal. Man konnte sich kaum darauf einigen, selbst Beschlüsse des Vorjahres zu wiederholen. Nach den Plänen von Paris 2015 wollte die Welt 2050 annähernd klimaneutral sein. Das wäre in 25 Jahren der Fall. Doch die Emission von Treibhausgasen sinkt nicht, im Gegenteil, sie steigt unablässig weiter an. 2023 waren die Emissionen so hoch wie noch nie. Wahrscheinlich ist, dass dieser Trend auch 2024 oder 2025 nicht gebrochen wird. Und der kommende US-Präsident Trump prahlt damit, selbst erreichte Klimamaßnahmen zurückzudrehen („Drill, baby, drill“) und aus dem Pariser Abkommen auszusteigen.

„I’m dreaming of a white Christmas.“ Was trägt der Traum von Weihnachten aus angesichts des Klimawandels als einer der größten Menschheitsaufgaben? Was lässt sich aus der Geschichte von Bethlehem für die Beschlüsse von Baku lernen? Und was kann man hoffen, ohne naiv zu werden?

Die Weihnachtsgeschichte erzählt davon, wie aus blanker Wohnungsnot neue Gemeinschaft entsteht. Maria, Josef und das Christuskind in der Krippe im Stall bei den Tieren. Ein Zeichen dafür, dass Gott „unten“, bei den Armen, zur Welt kommt – und dass dieses Kind der Christus für die ganze Schöpfung sein wird. Die alte Verheißung vom Frieden zwischen Mensch und Tier klingt hier an: „Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. […] Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen.“ (Jes 11) An der Krippe kommen Hirten, Engel und Weise zusammen. Gleichsam ein gemeinsames Aufbrechen von einfachen Arbeitern, Himmelsboten und Wissenschaftler*innen. Auch zur Zeit der Geburt Jesu gab es keine Zeichen dafür, dass es besser wird. Dass die römische Unterdrückung endet. Dass Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit wirklich werden. Der Stern von Bethlehem leuchtet nachts, in der Provinz, über einem einsamen Stall.

Jetzt, im Advent, geht es um Trotzkraft. Um Licht in der Finsternis. Um offene, unerfüllte Hoffnung, die nicht auf dem ruht, was wir tun. Und um eine „brennende Geduld“, die Menschen verändert. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Das macht die ökologischen Probleme von Klimakrise, Artensterben, Vermüllung der Meere nicht kleiner. Aber es hilft mir, nicht aufzuhören, gemeinsam dagegen anzugehen. Ich kann „die Welt“ nicht retten. Wir alle können das nicht. Das ist letztlich Gottes Sache. Aber wir können an unserer Stelle alles tun, um die Schöpfung zu bewahren.

Dazu gehört für mich auch, mich von manchen meiner Weihnachtsbilder zu lösen. Advent heißt auch Umkehr. Das Fest wird nicht schöner mit der Menge der Geschenke. Der kollektive Konsumrausch in den Black Friday Weeks hat mit der Geschichte im Stall herzlich wenig zu tun, eher mit Dekadenz zu Zeiten Roms. Auch perfekt gezüchtete Nordmanntannen, Flüge auf die Malediven oder künstlich präparierte Schneepisten sind keine weihnachtlichen Essentials und haben ihren ökologischen Preis. Zugleich versuche ich, neue Seiten der Advents- und Weihnachtsgeschichte für mich zu entdecken. Gemeinsame Orte und Begegnungen zu suchen mit den anderen unterwegs: den Sternsucherinnen, den Hütern auf dem Feld, den Himmelsboten. Ich versuche, mich neu als Teil der Schöpfung zu verstehen: an der Seite von Ochse und Esel, die mir in ihrem Verhalten oft ähnlicher sind, als mir lieb ist. Und mich im Warten zu üben auf den Friedensfürsten, der da kommen soll – und der schon im Warten gegenwärtig ist und mich verändert. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer drückte es so aus: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen.“

„I’m dreaming of a white Christmas.“ Es ist gut, von Weihnachten zu träumen. Träume, die mein Leben verändern. Träume, in denen Gott mir begegnet. Träume, die mich nicht abstumpfen lassen: „Da kann ich eh nichts tun.“ In unseren Träumen spüren wir die Kraft der Erwartung und die Gegenwart des Verheißenen. Wovon träumen Sie an Weihnachten?


Text und Beitragsbild: EKiR.de

St. Martinswort 2024

„Beim Teilen des Mantels geht es um Würde! St. Martin als Leitbild für den Sozialstaat“

St. Martinswort 2024 des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

Taten können Leben verändern. Am Martinstag erinnern wir an eine solche Tat gelebter Nächstenliebe. Als Martin von Tours einen frierenden Bettler am Wegesrand sieht, steigt er vom Pferd, zerschneidet seinen Offiziersmantel und gibt dem Frierenden die Hälfte seines Mantels. Martin gibt kein Almosen, sondern er teilt Würde. Er setzt sich dem anderen gleich und sieht den Bettler als Bruder, als Mitmenschen an: Deine Armut ist meine Armut, mein Mantel ist dein Mantel.

Das war vor rund 1700 Jahren. Seitdem erinnern wir an diese Tat in allen christlichen Kirchen. Weil Martin von Tours gelebt hat, worum es im Glauben geht. Jesus Christus sagt: „Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet.“ (Matthäusevangelium 25,36) Christus selbst identifiziert sich mit jedem Bettler, Armen und Obdachlosen. Am 11. November feiern wir kein Almosen, keine Wohltätigkeit, sondern ein Miteinander in Würde. Den Mantel teilen – als Leitbild für unseren Sozialstaat.

Die Armen unserer Zeit muss man nicht lange suchen. Da sind die Flaschensammler am Bahnhof, die Menschen, die Straßenzeitungen vor dem Supermarkt verkaufen, die Obdachlosen im Schlafsack unter den Brücken. Und es gibt noch eine viel größere verdeckte Armut. Es ist das Kind, das in der Schule ohne Pausenbrot dasteht. Das Rentnerpaar, das sich mit der schmalen Rente die Wohnung nicht mehr leisten kann und nicht weiß, wohin. Die Geflüchteten, die ohne einen Cent in Deutschland ankommen. Die alleinerziehende Mutter, die am Monatsende Lebensmittel bei der Tafel holt, weil das Geld einfach nicht reicht. Es ist und bleibt ein Skandal, dass in Deutschland Kinderreichtum weiter zu den größten Armutsrisiken gehört und Armut allzu oft familiär „vererbt“ wird.

Es ist gut, von Martin von Tours persönlich zu lernen für den Umgang mit den Armen unserer Zeit: stehen bleiben, nicht wegschauen, respektvoll mit diesem Menschen umgehen, nachfragen, nicht urteilen und etwas vom eigenen Geld teilen. Ein paar Euro machen mich nicht arm, können für den anderen Menschen aber viel bedeuten. Was wir aber vor allem brauchen, ist ein starker Sozialstaat, in dem Menschen erst gar nicht in solch eine Situation geraten. Unser Sozialstaat steht jedoch unter massivem Druck.

Die Wohlfahrtsverbände protestieren zurzeit in Nordrhein-Westfalen unter dem Motto „NRW bleib sozial!“, weil für den kommenden Landeshaushalt die Mittel für soziale Dienste und Angebote um 83 Millionen Euro reduziert werden sollen. Wenn das so kommt, werden Menschen mit sozialen Problemen, psychischer Krankheit, Sucht, Fluchterfahrung oder Schulden allein bleiben und schneller auf der Straße landen. Das teilt nicht den Mantel, sondern zieht vielen die Decke weg.

Ich bin dankbar, dass sich so viele Menschen ehrenamtlich wie beruflich in Gemeinden, Diakonie und Caritas für ein menschenwürdiges Miteinander einsetzen: in der Bahnhofsmission, in der Arbeit mit Geflüchteten in Notunterkünften, in aufsuchender Sozialarbeit in von Armut geprägten Stadtteilen, in Schuldnerberatung, Tafeln oder Telefonseelsorge. Diese persönliche Zuwendung kann nicht durch sozialstaatliche Maßnahmen ersetzt werden. Aber sie ist darauf angewiesen, dass der Staat sie stärkt, fördert und unterstützt.

Am 11. November wird es an vielen Orten Umzüge zu Ehren von Martin von Tours geben. Sie sind eine geistliche Erinnerung daran, was Mitmenschlichkeit bedeutet, und eine Ermutigung zu persönlichem wie sozialpolitischem Engagement.

Beitragsbild: EKiR.de

6.10. – Erntedank

Tafel Rösrath e. V. braucht Hilfe zum Helfen

Es ist schon eine kleine Tradition, dass wir Sie bitten, zum Erntedankfest auch an die Bedürftigen dieser Stadt zu denken.

Wir laden Sie daher ein, zu den Gottesdiensten am 06.10.2024 in Rösrath und Hoffnungsthal Lebensmittel mitzubringen und diese vor den Altar zu legen.

Gerne auch schon am 05.10.2024, dann können die Küster den Altar vorab schmücken.

Geeignet für die Weitergabe an die Tafel sind folgende Lebensmittel: Konserven mit Gemüse, Obst, Fisch, Wurst, aber auch frisches haltbares Gemüse z. B. Kartoffeln, Kohlsorten, Kürbisse, Zwiebeln oder Öl, Essig, Nüsse, Zucker, Mehl, H-Milch, Marmelade, Honig, Kaffee, Nudeln, Reis, verpackte Backwaren, Dauerwurst
….
Die gespendeten Gaben werden anschließend von Ehrenamtlern abgeholt und zeitnah an die Tafelbesucher verteilt.

Vorab schon einen herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

Es grüßt Sie
der Vorstand des Tafel Rösrath e. V.

8.9. – 14 Uhr Trauercafé

Friedhofscafé am Sommerberg
Neues Begegnungsangebot auf dem Zentralfriedhof

Die Trauerhalle auf dem Zentralfriedhof am Sommerberg wird zum Raum der Begegnung. Ab 8. September möchten die Stadt und der Ökumenische Hospizdienst Rösrath mit Unterstützung der StadtWerke und des Seniorenbeirats ein offenes Angebot für Trauernde schaffen, die den Austausch und Kontakt zu Menschen suchen, die in einer ähnlichen Situation sind. Das Friedhofscafé soll einen Raum für Menschen bieten, die sich allein gelassen fühlen, mit jemanden reden oder sich mit Tod und Trauer auseinandersetzen möchten und hierzu Fragen haben.

Die Eröffnung des Friedhofcafés ist für den 8. September 2024 von 14:00 bis 16:00 Uhr vorgesehen. Das Café soll dann regulär jeden zweiten Sonntag im Monat geöffnet sein. Neben Kontakten und Gesprächen werden auch Kaffee und Kuchen kostenlos angeboten. Zwei erfahrene, ehrenamtliche Trauerbegleiterinnen des Hospizdienstes werden die Leitung des Friedhofscafés übernehmen. Sie arbeiten gemeinsam mit weiteren Ehrenamtlichen zusammen. Die Ehrenamtlichen sind immer zu dritt vor Ort, sodass bei Bedarf auch Einzelgespräche angeboten werden können.

Derzeit werden Ehrenamtliche gesucht, die sich vorstellen können, das Friedhofscafé zu unterstützen. Im Oktober sind entsprechende Schulungen geplant, um die Ehrenamtlichen an die Kommunikation im Umgang mit Trauernden heranzuführen. Anknüpfend an die eigenen Erfahrungen setzen sich die Teilnehmenden mit den Grundzügen der Trauer auseinander, um dann Betroffenen im Friedhofcafé gut begegnen und sie angemessen begleiten zu können.

Die Idee des Friedhofscafés lässt sich dank breiter Unterstützung realisieren. Die Dr. Rembold Stiftung übernimmt die Gründungspatenschaft in Höhe von 3.000 Euro, mit denen sich die Startkosten refinanzieren lassen. Die StadtWerke stellen die Räumlichkeiten auf den Zentralfriedhof zur Verfügung und möblieren den kleinen Raum neben der Trauerhalle, der dann für Einzelgespräche genutzt werden soll. Außerdem ist die Stadt dankbar für alle Ehrenamtlichen des Ökumenischen Hospizdienstes und des Seniorenbeirates, die sich bereiterklärt haben, im Friedhofscafé aktiv mitzuwirken.

Die Leitung haben Pfarrerin i.R. Erika Juckel und Marlene Albach übernommen.
Dirk Müller hat für uns das Bild / Logo erstellt.
Sponsoren sind die Dr. Jürgen Rembold-Stiftung und die Stadtwerke Rösrath.

 

 

 

 

wir verkaufen

Die Gemeinde bietet zum Verkauf an:

Durch anklicken der Vorschaubilder wird die Bilddatei größer dargestellt.

E-Piano Kurzweil mit Pedal, Netzstecker, Tasche: 500 Euro

 

Mischpult: 200 Euro

Zwei HK Subwoofer, jeweils 300 Euro

Bitte wenden Sie sich an:
Ev. Gemeinde Volberg-Forsbach-Rösrath
Kantorat
Katharina Wulzinger
katharina.wulzinger@ekir.de
+49 176 87 999 716
Volberg 4
D-51503 Rösrath

Punkt, Komma, Strich

Punkt, Komma, Strich – eine kleine theologische Orthographie

Zeichensetzung kann Leben retten. Das wird schon an dem kleinen Satz deutlich: „Komm, wir essen, Oma!“ Fällt das zweite Komma weg, wird es für die Großmutter heikel und sie sollte sich besser nach neuen Enkeln umsehen.

Auch theologisch spielt der rechte Umgang mit den kleinen Satzzeichen eine große Rolle.

Da ist etwa der Punkt, das Lieblingskind dogmatischen Denkens. „Gott ist so. Glaube heißt dies. Punktum. Schluss.“ Er steht für ein feststellendes, behauptendes, normatives Reden und Denken. Als solcher ist der Punkt in der flüssig-flüchtigen Postmoderne in Verruf gekommen, zumindest, wenn er alleine und nicht als Triple auftritt: … Er beendet nicht nur den Satz, sondern auch den Diskurs – oder versucht es zumindest. „Roma locuta, causa finita.“ Die Problematik dessen ist spätestens seit der Reformation hinlänglich bekannt.

Umgekehrt ist aber auch das Fehlen von Punkten ein Problem. Etwa, wenn Diskussionen in Leitungsgremien weiter und weiter und immer weiter gehen und nie zum Ende kommen.

Oder wenn die Stimme in Predigten nie runtergeht,  immer oben bleibt und so eine lila Schleife bekommt. „Pastorales Schweben“ nannte das unser Rhetoriklehrer im Vikariat und hat uns dann gleich laut einen Zeitungsartikel lesen lassen: „Komm zur Sache. Mach einen Punkt.“ Der Punkt steht so eben auch für die Fähigkeit, sich klar zu positionieren. Öffentlich etwas zu bezeugen. Rede und Antwort zu stehen. Also, im besten Sinne „protestantisch“ zu sein (im Sinne des lateinischen protestari – öffentlich für etwas einstehen).

Dann gibt es da das Fragezeichen. Theologischer Ausdruck des Suchens, Zweifelns, der Anfechtung. Die Bibel beginnt mit zwei Fragen von Gott: „Wo bist du, Adam?“ und „Wo ist dein Bruder, Kain?“ Und das irdische Leben Jesu endet mit der Frage nach Gott: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dazwischen spielt sich der gesamte Glaube ab. Der Frage wohnt eine Kraft inne, welche die Antwort oft nicht mehr besitzt. Daher ist es wichtig, Gott und uns Menschen nicht zu schnell zu verstehen.

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt, wenn man hinabsieht“ (G. Büchner), von der Tiefe Gottes ganz zu schweigen. Dafür erscheint mir das Fragezeichen im Sinne eines tiefen, existentiellen Suchens, Ringens, Forschens schon sehr angemessen. Zeit unseres Lebens bleiben Gott und wir selbst „in statu quaestionis“, fragliche Wesen.
Umgekehrt gibt es aber auch eine narzisstische Verliebtheit in den eigenen Zweifel. Man lässt alles offen, schwebt im Möglichen, flüchtet sich ins sophistische Hinterfragen bzw. in ironische Brechungen. „Ist das so?“ Wenn wir etwa zu Gott, zur Theodizee, zu Liebe und Leid und Ewigkeit nicht mehr zu sagen haben, als nur zu fragen, bleibt das unbefriedigend.

Interessant finde ich, dass Jesus in seinem irdischen Leben darauf eine eigene Antwort gegeben hat. Er hat diejenigen, denen er begegnet ist, gefragt: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Er hat einen wundertätigen Glauben in seinem Gegenüber geweckt und wirken lassen. Das war seine Antwort auf die Frage des Täufers: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Er kam, sah – und half anderen: nicht zu siegen, sondern zu lieben.

Vielleicht ist das zentralste theologische Satzzeichen aber der Gedankenstrich. Er unterbricht unser Reden und Denken. Weil das Wesen der Religion heilsame Unterbrechung ist. Er leitet einen Einschub ein, eine Parenthese. Er schafft Raum für das, was eigentlich zu sagen wäre – doch nicht von uns gesagt werden kann. Wo uns als Menschen oft nur beredetes, hoffendes Schweigen bleibt. Der Gedankenstrich steht für eine radikale Zäsur, in der Gottes Geist – wann und wo es ihm gefällt – Intelligenz verleiht: die Gabe, zwischen den Zeichen und Zeilen zu lesen, um wirklich zu verstehen. Ein Sabbat mitten im Satz, ein orthographischer Platzhalter für den Auferstehungsglauben.

Das zeigt sich exemplarisch an dem wohl „wichtigsten Gedankenstrich der Bibel“. Er steht in Psalm 22, Mitten in Vers 22. Jesus betet am Kreuz (nach Markus und Matthäus) den Anfang dieses Psalms: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Danach folgt dann im weiteren Psalm eine einzige, lange, abgründige Klage: der Betende erfährt sich als Wurm, kein Mensch, ein Spott und Hohn der Leute, auf Gott geworfen, umringt von mächtigen Büffeln, brüllenden Löwen, bösen Rotten, ausgeschüttet wie Wasser, vertrocknet wie eine Scherbe, allein, ohne Helfer, mit zertrennten, durchbohrten Gliedern, im Todesstaub.

Der Psalm bietet so die Vorlage der Passionsgeschichte: „Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.“ Ein Mensch im tiefsten Abgrund des Leidens, verlassen von Gott und aller Welt. Das geht den ganzen Psalm so bis zur ersten Hälfte von Vers 22. „Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der wilden Stiere.“ Doch dann – der Gedankenstrich –  Pause – Zäsur. „Du hast mich erhört!“ Und die weitere zweite Hälfte des Psalms ist ein einziger Lobgesang des Erhörten auf Gott: „Rühmet den HERRN!“ „Dich will ich preisen.“ „Ich will deinen Namen kundtun.“ Was damals dazwischen geschehen ist – ein priesterlicher Heilszuspruch, eine nächtliche Gebetshörung, ein Heilungswunder? – wir wissen es nicht. Ob Jesus als frommer Jude im Sterben diese Hoffnung vor Augen hatte? – ich weiß es nicht. Doch für mich ist dieser Gedankenstrich in Psalm 22, Vers 22 Inbegriff der Hoffnung auf Auferstehung. Die Nulllinie menschlichens Lebens, Handelns, Hoffens – zugleich die Baseline für Gottes Wunder. Wo wir nichts mehr zu sagen wissen, beginnt Gott heilsam zu wirken.

Wenn einem dies widerfährt, bleibt nur Dank, Staunen – und Ausrufezeichen!

„Du hast uns erlöst, du treuer Gott!“ Amen! Ausrufezeichen!


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Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher

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Theologischer Impuls

Dies ist kein Liebeslied – 1. Kor 13 im Horizont sexualisierter Gewalt

Dies ist kein Liebeslied. „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, …“ Ich weiß nicht, wie oft Sie, wie oft ich diese Verse aus 1. Kor 13 schon gehört habe(n): bei Hochzeiten, in Predigten, als Lesungen – und wie oft ich schon über sie gepredigt habe, nicht nur Brautleuten:

  • dass die Liebe unerlässlich ist, eine ‚conditio sine qua non‘ von allem anderen, von meinem Reden, Glauben, Tun (V. 1-3), der „bessere Weg“ (12,31), die Grundlage aller anderen Gnadengaben (Charismen);
  • dass die Liebe selbst ein hochdynamisches Geschehen ist (V. 4-7), ein Tun und Werden, kein Sein, etwas, das sich kaum fassen, nur umkreisen lässt – wie hier per via negationis, mit insgesamt 15 Verben;
  • dass die Liebe unvergänglich ist (V. 8-13), ein Stück der Vollkommenheit Gottes in der vergänglichen Welt, der Höhepunkt in der Klimax der drei Ewigkeitsgaben von Glaube, Hoffnung, Liebe;
  • dass bei der oft diffus-konfusen Liebesrede binnenzudifferenzieren ist zwischen leidenschaftlich sexuellem Begehren (Eros), freundschaftlicher Beziehung (Philia) und liebender Selbsthinwendung (Agape);
  • dass es das dreifache Liebesgebot gibt – gegenüber Gott, meinem Nächsten und mir selbst – und dass Gott als die Liebe selbst dabei die Bedingung der Möglichkeit all unseres menschlichen Liebens ist.

Alles richtig und wichtig und gut. Doch vielleicht habe ich all das zu oft gehört und selbst gesprochen – angesichts dessen, was geschehen ist und geschieht: auch in unserer Kirche, in der Gemeinde derer, die im Lichte dieser Liebe Gottes leben. Stimmt es wirklich, was in den Versen alles von der Liebe gesagt wird? Ist es nicht gerade so, dass Gott, alias die eine, allumfassende Liebe, eben nicht alles erträgt, nicht alles glaubt, alles hofft, alles erduldet?

Nein, Gottes Liebe ist keineswegs nur immer langmütig und freundlich. Nein, sie eifert vielmehr und brennt angesichts dessen, was Menschen erleiden mussten, wie Glaube, Kirche, Gott missbraucht werden, um ihnen Gewalt anzutun – mitten in unseren Gemeinden. Ich glaube, dass Gott, alias die eine, allumfassende Liebe, die Schnauze voll und überhaupt genug hat, wie all dies jahrzehntelang verheimlicht wurde, wie wir es nicht wahrhaben wollten, dass Menschen mit ihrem Leid alleine geblieben sind. „Nein. Das kann nicht sein. Nicht N.N. Der ist so ein charismatischer Chorleiter, Küster, Presbyter, Jugendmitarbeiter, Pfarrer oder Lehrer.“ Wir schwiegen, wo wir hätten reden sollen. Und wo wir schweigen sollten, reden wir und reden und reden. Pastorale Deutungsmacht. Dies ist kein Liebeslied.

Wir haben in unseren Gemeinden Liebe mit Harmonie verwechselt. Der Wunsch nach einem kirchlichen Bullerbü, so hat es eine Betroffene von sexualisierter Gewalt beschrieben, hat uns blind gemacht. Idealisiertes Selbstbild. Die Unfähigkeit, Schuld klar zu benennen und mit ihr umzugehen. Vergebung ohne wirkliche Buße. Und immer wieder Worte und noch mehr Worte – 15 Verben – statt Taten. „Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Nein, das hat nichts mit Liebe zu tun, wenn Grenzen verletzt, Macht ausgenutzt, Abhängigkeiten geschaffen werden – auch wenn Täter dies Betroffenen oft zu vermitteln suchen. Und es hat nichts mit Liebe zu tun, wenn Gewalt danach von anderen ignoriert bzw. kaschiert, Täter und Betroffene verwechselt werden, wenn die Wahrheit verschleiert wird – wie „durch einen Spiegel in einem dunklen Bild“. „Sie rechnet das Böse nicht zu.“ Doch, das muss sie – weil es um Verantwortung geht. „Sie freut sich aber an der Wahrheit.“ Ja, das tut die Liebe. Und darum braucht es Aufklärung dort, wo Missbrauch und sexualisierte Gewalt geschehen sind. Weil Betroffene ein Anrecht darauf haben. Weil nur so neuer Missbrauch verhindert werden kann. Weil es das Schweigen auch für andere bricht und das Tabu gelöst wird, über solche Taten nicht zu sprechen. Dies ist kein Liebeslied.

Es fällt auf, dass in 1. Kor 13 recht unvermittelt vom Kindsein die Rede ist: „Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.“ Was sagt das aus über das Verhältnis von Liebe und Erkenntnis und über den Umgang mit Grenzen? Nein, Kinder, auch Jugendliche können nicht immer begreifen, was ihnen geschieht, was Liebe ist und was nicht, wo sexualisierte Gewalt beginnt. Deshalb gibt es das Gebot der Zurückhaltung, der Abstinenz. Deshalb sind sie besonders zu schützen. Denn für Betroffene gilt eben nicht, dass sie als Erwachsene abtun konnten, was ihnen als Kind geschehen ist. Oft wurde der Schmerz vielmehr tief in der Seele eingekapselt, weil er sonst nicht auszuhalten war. „Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden.“ So der Titel der Handreichung in der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Thema aus dem Jahr 2012.

Sexualisierte Gewalt ist viel verbreiteter in unseren Familien, Vereinen, Schulen, Chören und in unseren Gemeinden, als früher oft gedacht. Angesichts dessen ist es wichtig, Texte wie 1. Kor 13 neu zu lesen. Etwa die lange Liste der Dinge, die Liebe nicht tut: Liebe verletzt nicht die körperlichen und seelischen Grenzen anderer. Liebe missbraucht keine Macht. Liebe stellt sich nicht blind, wo anderen Unrecht geschieht. Liebe steht nicht für billige Gnade. Die via negationis als notwendiges Korrektiv, weil Liebe und Gott zu den am häufigsten missbrauchten Worten gehören, in deren Namen anderen Unrecht getan wurde und wird.

Wenn kein Liebeslied, was ist es dann? Vielleicht eine kritische Checkliste, um uns vor Liebeskitsch zu hüten, gerade auch theologischem. Um zu erkennen, wo die Grenzen unseres Liebens sind. Dass Gottes Liebe und unser Lieben zu unterscheiden sind wie Himmel und Erde. Und um uns ehrlich zu machen im Blick auf die Wirklichkeit von sexualisierter Gewalt auch in unserer Kirche. Damit unser Reden eben nicht zum tönenden Erz oder zur klingenden Schelle für andere wird. Damit unser Glaube und helfendes Handeln nicht hohl werden. Davor behüte uns Gott als die eine, allumfassende Liebe.


Weitere Texte: www.glauben-denken.de

Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher

Kontakt: praeses@ekir.de

„Sommer, Urlaub …“

„Sommer, Urlaub, Bibel, Gott“ – Gedanken zur Senkung protestantischer Arbeitsmoral

Vielleicht kennen Sie auch diese Frage aus Sommerinterviews: „Liebe Frau Müller, lieber Herr Meier, wenn Sie ein Buch auf eine einsame Urlaubsinsel mitnehmen können, welches wäre das?“ Und je nach Frömmigkeitsgrad von Frau Müller bzw. Herrn Meier kommt dann immer auch wieder die Bibel, das Buch der Bücher. Wobei das mit der Strandkorb-Tauglichkeit der Bibel ja so eine Sache ist.

– Er: „Und: Was liest Du so?“

– Sie: „Die Bibel. Bin schon ziemlich weit.“

– Er: „Oh, krass. Hab’ ich auch schon von gehört. Steht auf meiner TBR-List. Und: Wie isse denn so geschrieben?“

– Sie: „Recht spannend. Geht viel um Liebe, Sünde und so. Komplexe Story, viele Charaktere. So ein bisschen wie Tolkien, „Herr der Ringe“-mäßig. In der Mitte zieht es sich ein wenig – speziell bei der Chronik. Aber am Ende kriegen sie sich, Gott und Mensch.“

Dass die Bibel sich nicht so unbedingt als leichte Strandlektüre eignet, hängt auch mit ihrer Entstehungsgeschichte zusammen. Die kann man sich vielleicht so ähnlich vorstellen wie das Ausschusswesen der rheinischen Synode. Da gibt es den Theologischen Ausschuss die „Schriftgelehrten“, den Ausschuss für Erziehung und Bildung „die Weisheit“, den Ausschuss für öffentliche Antwort „die Propheten“, … Und jetzt stellen Sie sich einen 1.200 Jahre dauernden, geistgeleiteten synodalen Prozess vor – mit periodisch wechselnder Federführung. Et voilà! Oder mit den letzten Worten Luthers formuliert: „Die Briefe Ciceros kann niemand verstehen, er habe denn 25 Jahre in einem großen Gemeinwesen sich bewegt. Die Heilige Schrift meine niemand genügsam geschmeckt zu haben, er habe denn hundert Jahre lang mit Propheten wie Elias und Elisa, Johannes dem Täufer, Christus und den Aposteln die Gemeinden regiert.“

Auch wenn die Bibel sich also mehr für den Pilgerweg als für die Pool-Lektüre eignet, spielt das Thema Urlaub in ihr eine große Rolle. Im Grunde ist die Bibel insgesamt eine Anleitung zur heilsamen Selbstunterbrechung, zur Seelenstille, zur Einkehr vor Gott im Akt des Lesens.

Das beginnt schon gleich am Anfang mit der Schöpfungsgeschichte. In einer Zeit, als das Volk Israel im Exil Halt, Heimat, Hoffnung verloren hat, wird ihm hier Gottes Gegenwart vermittelt: im Rhythmus der Zeit und in der Schönheit der Schöpfung. „Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag …der zweite Tag, …der dritte Tag …“ Der Himmel, die Erde, das Meer, die Sonne, die Sterne: Sie alle sind Gottes Geschöpfe. Sie sind da, damit Pflanzen, Tiere, Menschen, alles was lebt, eine Heimat hat. Und die ganze Schöpfung findet am Ende ihr Ziel darin, dass Gott am siebten Tag ruht von all seinen Werken. „Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.“ Gott segnet die Ruhe, damit wir als Geschöpfe zur Ruhe kommen. Und in der Ruhe zu uns selbst und zu Gott. Die Schöpfungsgeschichte: eine Anleitung zur heilsamen Selbstunterbrechung, zur Einkehr bei Gott im Rhythmus der Zeit.

Wie zentral diese Idee ist, zeigt sich daran, dass sie in die 10 Gebote aufgenommen wurde. „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.“ Das ist zentral für den jüdischen wie christlichen Glauben. „Das Wesen der Religion ist Unterbrechung.“ (J.B. Metz)

Nur in der Begründung ist man sich damals nicht einig geworden. Votierten die einen für den Bezug zur Schöpfungsgeschichte, so waren die anderen für den Bezug zum Exodus, dem Auszug aus Ägypten. Denn auch hier, beim Auszug aus Ägypten und dem Beginn des Volkes Israel spielt die Ruhe eine zentrale Rolle. Die ganze Exodusgeschichte handelt davon, wie Gott uns Menschen vor uns Menschen schützt und an die Seite der versklavten Israeliten tritt. Gott befreit sein Volk aus einem Regime der Ausbeutung, von grenzenloser Arbeit, von Unfreiheit und Ruhelosigkeit.

Die Pointe dessen ist, dass das nicht nur für Israel gilt, sondern für alle, eben auch „für den Fremdling, der in deiner Stadt lebt.“ Ja, selbst für die Tiere, das Land, die ganze Schöpfung. Das Volk Israel als die ersten Freigelassenen in Gottes Schöpfung.

Und weil beides klug und richtig ist, hat man die Zehn Gebote einfach zweimal in die Bibel aufgenommen: in 2. Mose 20 mit Bezug des Sabbats auf die Schöpfung und in 5. Mose 5 mit Bezug auf den Auszug. Es ist wichtig, die heilsame Unterbrechung doppelt zu betonen, weil wir als Menschen eine tiefe Neigung haben, uns selbst und andere zu erschöpfen und unserer Gott gegebenen Freiheit und Ruhe zu berauben. Wir gehen leicht unter in den Sorgen um alles, was noch zu machen ist: „Muss nur noch kurz die Welt retten … noch 148 Mails checken.“ (Tim Bendzko)

Und unsere Frömmigkeit trägt manchmal selbst dazu bei: Wenn der Eifer um die Kirche uns selber auffrisst. Wenn wir meinen, ohne uns ginge zwar nicht gleich die Welt unter, aber doch die rheinische Kirche. Wenn wir anderen Wein predigen und selber Wasser trinken. Wenn sich die sorgenvolle Stimme der Martha in mir meldet. „Wie soll das alles klappen: mit dem Mitgliederschwund, den Gebäuden, den Veränderungen und überhaupt mit allem? Siehst Du denn nicht, Herr, wie das Boot bei uns vollläuft?“ Das nennen wir dann protestantische Arbeitsmoral.

Da ist gut auf die Stimme dessen zu hören, der die Welt, unsere rheinische Kirche und auch mein kleines Leben in seinen Händen hält:

– „Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Sorge hat.“

– „Tu du das Deine und überlass den Rest ruhig mir.“

– „Das Retten der Welt und das Sorgen sind Gottes Sache.“

– „Es ist gut, dass du arbeitest und gut, dass du ruhst.“

– „Denn den Seinen gibt‘s der Herr im Schlaf, am Sabbat und auch im Urlaub.“

Daher zum Schluss: Sieben theologische Tipps für den Urlaub:

1. Du bist Mensch und nicht Gott.

Und wenn Gott ruht, solltest du es auch. Genieße deine endliche Freiheit. Freu dich an der Schönheit der Schöpfung. Geh sorgsam mit dir selbst um: mit deiner Seele, deinem Körper, deinem Geist. Sie alle sind endlich und brauchen Ruhe.

2. Es gibt kein Paradies jenseits von Eden. Auch nicht im Urlaub.

Entspann dich, wenn nicht alles perfekt ist oder nach Plan läuft. Manchmal ist der Umgang mit dem Scheitern im Nachhinein sogar das Interessanteste. Gott schreibt auf krummen Linien oft besondere Geschichten.

3. Der Mensch im Stau neben dir ist auch ein Mensch, ein geliebtes, wunderbares Geschöpf Gottes wie du.

Lass dich von der Tonne Blech um ihn herum nicht davon ablenken – und auch nicht durch seine suboptimale Fahrweise. Und wenn er sich dennoch blöde vordrängelt: Vielleicht hat er den Urlaub noch nötiger als du. Wer das noch nie getan hat, drücke zuerst auf die Hupe.

4. Was deine kleinen technischen Hilfsmittel betrifft: Es ist wichtig, die Rollen zu klären: Sie sollen dir dienen. Nicht du ihnen.

Schalt einfach mal ab. Pflücke den Augenblick. Von Mona Lisa, Niagarafall, Pyramiden gibt es übrigens schon Fotos. Du brauchst dir kein Bildnis von allem zu machen.

5. Egal, wo du hinfährst oder bist, Gott erwartet dich.

In der Weite des Meeres, in der Stille der Berge, auf deinem Balkon oder im Garten, und auch im Angesicht des Menschen, der dein Hotelzimmer macht oder dein Essen bringt. Urlaub ist eine Chance, Gott neu zu entdecken.

6. Wenn du reisen willst, reise.

Wenn du lesen willst, lies. Wenn du wandern, schlafen, schwimmen, essen, bummeln, feiern willst, tu es. Sei gesegnet in dem, was du tust, und in dem, was du lässt.

7. Du bist frei. Erstgeborener von Gottes neuer Schöpfung.

Das ist deine Bestimmung. Lebe so, dass es ohne Gott keinen Sinn ergibt. Und dass andere etwas von der Freiheit Gottes spüren.


Weitere Texte: www.glauben-denken.de

Als Bücher: https://praesesblog.ekir.de/inhalt/theologische-impulse-als-buecher

Kontakt: praeses@ekir.de

Ein Blick auf Pfingsten

Auferstehen hier und jetzt – ein anderer Blick auf Pfingsten

Ich liebe ja Pfingsten. Es ist Mai. Das Wetter ist schön – meistens zumindest. Gottesdienste und Gemeindefeste finden oft im Grünen statt. Wir feiern den Geburtstag der Kirche. Gottes Geist kommt wie Feuerflammen auf die Jünger/innen. Sie sprechen in anderen Sprachen, verstehen einander plötzlich. Pfingsten – das ist Inspiration, Geisteskraft, Empowerment, Leidenschaft, Aufbruch, Energie, Trotzkraft, Hoffnung, Zuversicht. Ein bisschen wie ein ESC der ersten Christenheit. Mit Bühnenshow und Völkerverständigung: „Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.“ Wow!

Natürlich lässt sich jetzt mit Brecht rein finanziell einwenden: „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten.“ Okay. Aber Pfingsten ist ja eben bewusst auch nicht materialistisch. Es geht um Geist, Gottes Geist. Gott schenkt sich uns in seinem Geist – und uns einander durch seinen Geist. Pfingsten ist pfiffig, pfundig, geistbeseelt. Das Power-Fest im Kirchenjahr. Ich liebe es.

Doch – es gibt noch eine ganz andere Seite von Pfingsten. Eine, die für unsere Zeit mit ihrer Dauer-Poly-Krise neu von Bedeutung ist. Dabei geht es um die Verarbeitung von Trauer, Verlust, Traumata. Um dunkle, schwere Erfahrungen:

  • Wenn eben kein Geist mehr da ist. Kein Leben, keine Kraft.
  • Wenn alles erstirbt, selbst der letzte Funken Hoffnung, es könnte einmal wieder anders werden.
  • Wenn selbst vom eigenen Körper nur noch das Gerippe bleibt. Nicht mal Haut, nur noch Knochen.

Ein solch anderen Blick auf Pfingsten bietet die Geschichte in Hesekiel 37 (es lohnt, sie einmal ganz zu lesen). Hesekiel schreibt hier in eindrücklichen, heftigen Bildern von einer traumatischen Erfahrung fast wie bei einem Albtraum: Gottes Geist führt ihn über ein Totenfeld. Verdorrte Knochen, soweit das Auge reicht. Wenig pfingstliche Maigefühle, sehr materiell und sehr trostlos. Bilder, wie wir sie von den Kriegsschauplätzen unserer Tage kennen. Aus zerstörten Dörfern und Städten in der Ukraine, in Syrien, Myanmar, Afghanistan, im Kongo, Jemen, in Israel und Palästina. Von Orten, wo ein ganzes Volk seine Kraft und Hoffnung verliert. Wo nichts mehr ist als Tod und Verwüstung. Orte traumatischer Erfahrungen. Bilder, die ich am liebsten gar nicht sehen würde und denen ich doch nicht ausweichen kann, die mich nicht loslassen.

Dann beginnt der Geist zu Hesekiel zu reden: „Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden?“ Was soll und kann ein Mensch dazu sagen? Die harte Wirklichkeit des Todes vor Augen. Die Frage des Geistes Gottes im Ohr. Hesekiels Antwort ist ausweichend, so wie es Theolog/innen mitunter gerne tun. Es gibt Zeiten, da verschlägt es selbst dem Propheten die Worte.

Und wenn ich ehrlich bin, geht es mir bei vielen Nachrichten oft wie Hesekiel. „Du Menschenkind, meinst du wohl, dass aus all den Kriegen, der Klimakrise und den Katastrophen wieder Gutes entstehen kann?“ Und dann stehe ich da und weiß auch nichts zu antworten. Rede mich raus mit frommen Formeln: „Gott hält uns alle in seiner Hand. Die Liebe ist stärker als der Tod. Christus steht an der Seite der Leidenden.“ Alles fromm und richtig und doch irgendwie leer. „Und ich spreche: „Herr, mein Gott, du weißt es.“ „Gott, ich habe keine Ahnung. Keine Hoffnung. Nichts, was ich irgendwie sagen oder beitragen könnte. Du, Gott, bist alles, was noch bleibt, um nicht völlig zu verzweifeln. Auch, wenn ich nicht weiß, was, wann, wie, warum.“

Doch dann, dann beginnt eine der wohl stärksten Hoffnungs- und Verwandlungsgeschichten der ganzen Bibel. Hesekiel, der zweifelnde, traumatisierte, sprachlose Propheten, wird zum geisterfüllten Boten Gottes. Er beginnt im Auftrag Gottes zu reden. Und das Totenfeld steht auf und wird zu einem neuen Volk Israel.
Es geschieht langsam, Schritt für Schritt. Drei Anläufe braucht es, bis die wundervolle Verwandlung geschieht.

  • Erst spricht Hesekiel zu den Knochen – und sie bekommen neu Sehnen, Fleisch und Haut.
  • Dann spricht Hesekiel zu dem Wind, dem Odem – und die Körper werden neu beseelt und mit Leben erfüllt.
  • Und schließlich spricht Hesekiel zum Volk Israel im Exil – auf dass sie auferstehen: mitten im Leben zu neuem Leben.

Die Geschichte ist erzählt wie die Schöpfung am Anfang der Bibel. Hier wie dort spricht Gott – und siehe: es geschieht. Hier wie dort ist es Gottes Geist, der über dem Dunklen schwebt. Dort über der Finsternis, hier über dem Totenfeld. Hier wie dort entsteht erst durch den Odem aus der toten Materie neues Leben. Die Schöpfungsgeschichte stammt aus derselben Zeit wie der Prophet Hesekiel und auch sie ist erzählt, um dem Volk Israel im Exil neue Hoffnung und Halt zu geben.
Der entscheidende Unterschied ist jedoch die Rolle des Propheten: Hesekiel wird gleichsam zum Mitschöpfer Gottes. Er spricht aus, was der Geist ihm sagt. Und siehe: es geschieht. Die Gebeine bekommen Sehnen, Fleisch und Haut. Die Körper bekommen eine Seele. Das Volk Israel bekommt neue Hoffnung.

Darum geht es an Pfingsten. Es geht um nicht weniger als um Auferstehung mitten im Leben. Und es geht darum, dass wir durch Gottes Geist daran mitwirken.
Bei Auferstehung denken wir ja meist an die Zeit nach dem Tod. Irgendwann, dereinst, am jüngsten Tag, jenseits all unserer Erfahrung. Das ist wichtig und tröstlich. Dass der Tod nicht das Letzte ist. Aber es ist eben auch sehr weit weg. Oft fällt es dagegen viel schwerer, an die Auferstehung im Hier und Jetzt zu glauben, in meinem Leben, in unserer Gesellschaft.

„Du Menschenkind, meinst du wohl, dass aus all dem Schlamassel Deines Lebens, dieser Gesellschaft wieder Leben entstehen kann?“
Das ist gefährlich unmittelbar. Doch so ist das mit Glaube, Liebe, Hoffnung: Sie werden erst spannend, wenn es konkret wird.
Genau das geschieht an Pfingsten. Gottes Liebe wird konkret. In mir. In Dir. In uns. Durch seinen Geist: „Geh hin und sprich zu den Einsamen, dass sie nicht alleine sind.

  • Zu den Flüchtlingen, dass sie bei uns Heimat haben.
  • Zu den Armen, dass wir mit ihnen teilen.
  • Zu denen, die alle Hoffnung verloren haben, dass es gut wird.

Und werde selbst Teil von Gottes neuer Schöpfung. Durch Gottes Geist.“

Ich liebe Pfingsten. Das Powerfest im Kirchenjahr. Weil es eben mehr ist als eine gute Laune-ESC-Party. Das Pfingstfest hilft mir, an Wunder zu glauben. Dem Wunder, dass unsere Welt anders werden kann. Dass ich selbst anders leben kann. Dass es Hoffnung gibt wider all meine Hoffnungslosigkeit. Dass Gott in uns ist und uns mit all unserem Schlamassel nicht alleine lässt.

Dafür kann ich dann auch gerne auf dicke Geschenke verzichten.

Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest!

Theologische Impulse (139) von Präses Dr. Thorsten Latzel