Klima(krise) im Advent

„I’m dreaming of a white Christmas.“ Für viele gehört das zum Bild eines friedvollen Festes: weiß bedeckte Tannen, Schlitten mit Glocken, Schnee, der die Welt stiller, friedlicher macht. Doch der Traum von weißen Weihnachten könnte schon sehr bald Schnee von gestern sein. Wir erleben 2024 das heißeste Jahr, seit es Klimaaufzeichnungen gibt. Die 1,5-Grad-Grenze im Vergleich zur vorindustriellen Zeit wird schon jetzt überschritten. Mit verheerenden Folgen: Extremwetter wie jüngst etwa in Spanien. Dürren, Wüsten, Hungersnöte in anderen Erdteilen. Und ganze Inselstaaten, die absehbar verschwinden.

Angesichts dessen sind die Ergebnisse der inzwischen sage und schreibe 29. Weltklimakonferenz der UN in Baku ein Skandal. Man konnte sich kaum darauf einigen, selbst Beschlüsse des Vorjahres zu wiederholen. Nach den Plänen von Paris 2015 wollte die Welt 2050 annähernd klimaneutral sein. Das wäre in 25 Jahren der Fall. Doch die Emission von Treibhausgasen sinkt nicht, im Gegenteil, sie steigt unablässig weiter an. 2023 waren die Emissionen so hoch wie noch nie. Wahrscheinlich ist, dass dieser Trend auch 2024 oder 2025 nicht gebrochen wird. Und der kommende US-Präsident Trump prahlt damit, selbst erreichte Klimamaßnahmen zurückzudrehen („Drill, baby, drill“) und aus dem Pariser Abkommen auszusteigen.

„I’m dreaming of a white Christmas.“ Was trägt der Traum von Weihnachten aus angesichts des Klimawandels als einer der größten Menschheitsaufgaben? Was lässt sich aus der Geschichte von Bethlehem für die Beschlüsse von Baku lernen? Und was kann man hoffen, ohne naiv zu werden?

Die Weihnachtsgeschichte erzählt davon, wie aus blanker Wohnungsnot neue Gemeinschaft entsteht. Maria, Josef und das Christuskind in der Krippe im Stall bei den Tieren. Ein Zeichen dafür, dass Gott „unten“, bei den Armen, zur Welt kommt – und dass dieses Kind der Christus für die ganze Schöpfung sein wird. Die alte Verheißung vom Frieden zwischen Mensch und Tier klingt hier an: „Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. […] Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen.“ (Jes 11) An der Krippe kommen Hirten, Engel und Weise zusammen. Gleichsam ein gemeinsames Aufbrechen von einfachen Arbeitern, Himmelsboten und Wissenschaftler*innen. Auch zur Zeit der Geburt Jesu gab es keine Zeichen dafür, dass es besser wird. Dass die römische Unterdrückung endet. Dass Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit wirklich werden. Der Stern von Bethlehem leuchtet nachts, in der Provinz, über einem einsamen Stall.

Jetzt, im Advent, geht es um Trotzkraft. Um Licht in der Finsternis. Um offene, unerfüllte Hoffnung, die nicht auf dem ruht, was wir tun. Und um eine „brennende Geduld“, die Menschen verändert. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Das macht die ökologischen Probleme von Klimakrise, Artensterben, Vermüllung der Meere nicht kleiner. Aber es hilft mir, nicht aufzuhören, gemeinsam dagegen anzugehen. Ich kann „die Welt“ nicht retten. Wir alle können das nicht. Das ist letztlich Gottes Sache. Aber wir können an unserer Stelle alles tun, um die Schöpfung zu bewahren.

Dazu gehört für mich auch, mich von manchen meiner Weihnachtsbilder zu lösen. Advent heißt auch Umkehr. Das Fest wird nicht schöner mit der Menge der Geschenke. Der kollektive Konsumrausch in den Black Friday Weeks hat mit der Geschichte im Stall herzlich wenig zu tun, eher mit Dekadenz zu Zeiten Roms. Auch perfekt gezüchtete Nordmanntannen, Flüge auf die Malediven oder künstlich präparierte Schneepisten sind keine weihnachtlichen Essentials und haben ihren ökologischen Preis. Zugleich versuche ich, neue Seiten der Advents- und Weihnachtsgeschichte für mich zu entdecken. Gemeinsame Orte und Begegnungen zu suchen mit den anderen unterwegs: den Sternsucherinnen, den Hütern auf dem Feld, den Himmelsboten. Ich versuche, mich neu als Teil der Schöpfung zu verstehen: an der Seite von Ochse und Esel, die mir in ihrem Verhalten oft ähnlicher sind, als mir lieb ist. Und mich im Warten zu üben auf den Friedensfürsten, der da kommen soll – und der schon im Warten gegenwärtig ist und mich verändert. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer drückte es so aus: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen.“

„I’m dreaming of a white Christmas.“ Es ist gut, von Weihnachten zu träumen. Träume, die mein Leben verändern. Träume, in denen Gott mir begegnet. Träume, die mich nicht abstumpfen lassen: „Da kann ich eh nichts tun.“ In unseren Träumen spüren wir die Kraft der Erwartung und die Gegenwart des Verheißenen. Wovon träumen Sie an Weihnachten?


Text und Beitragsbild: EKiR.de

St. Martinswort 2024

„Beim Teilen des Mantels geht es um Würde! St. Martin als Leitbild für den Sozialstaat“

St. Martinswort 2024 des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

Taten können Leben verändern. Am Martinstag erinnern wir an eine solche Tat gelebter Nächstenliebe. Als Martin von Tours einen frierenden Bettler am Wegesrand sieht, steigt er vom Pferd, zerschneidet seinen Offiziersmantel und gibt dem Frierenden die Hälfte seines Mantels. Martin gibt kein Almosen, sondern er teilt Würde. Er setzt sich dem anderen gleich und sieht den Bettler als Bruder, als Mitmenschen an: Deine Armut ist meine Armut, mein Mantel ist dein Mantel.

Das war vor rund 1700 Jahren. Seitdem erinnern wir an diese Tat in allen christlichen Kirchen. Weil Martin von Tours gelebt hat, worum es im Glauben geht. Jesus Christus sagt: „Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet.“ (Matthäusevangelium 25,36) Christus selbst identifiziert sich mit jedem Bettler, Armen und Obdachlosen. Am 11. November feiern wir kein Almosen, keine Wohltätigkeit, sondern ein Miteinander in Würde. Den Mantel teilen – als Leitbild für unseren Sozialstaat.

Die Armen unserer Zeit muss man nicht lange suchen. Da sind die Flaschensammler am Bahnhof, die Menschen, die Straßenzeitungen vor dem Supermarkt verkaufen, die Obdachlosen im Schlafsack unter den Brücken. Und es gibt noch eine viel größere verdeckte Armut. Es ist das Kind, das in der Schule ohne Pausenbrot dasteht. Das Rentnerpaar, das sich mit der schmalen Rente die Wohnung nicht mehr leisten kann und nicht weiß, wohin. Die Geflüchteten, die ohne einen Cent in Deutschland ankommen. Die alleinerziehende Mutter, die am Monatsende Lebensmittel bei der Tafel holt, weil das Geld einfach nicht reicht. Es ist und bleibt ein Skandal, dass in Deutschland Kinderreichtum weiter zu den größten Armutsrisiken gehört und Armut allzu oft familiär „vererbt“ wird.

Es ist gut, von Martin von Tours persönlich zu lernen für den Umgang mit den Armen unserer Zeit: stehen bleiben, nicht wegschauen, respektvoll mit diesem Menschen umgehen, nachfragen, nicht urteilen und etwas vom eigenen Geld teilen. Ein paar Euro machen mich nicht arm, können für den anderen Menschen aber viel bedeuten. Was wir aber vor allem brauchen, ist ein starker Sozialstaat, in dem Menschen erst gar nicht in solch eine Situation geraten. Unser Sozialstaat steht jedoch unter massivem Druck.

Die Wohlfahrtsverbände protestieren zurzeit in Nordrhein-Westfalen unter dem Motto „NRW bleib sozial!“, weil für den kommenden Landeshaushalt die Mittel für soziale Dienste und Angebote um 83 Millionen Euro reduziert werden sollen. Wenn das so kommt, werden Menschen mit sozialen Problemen, psychischer Krankheit, Sucht, Fluchterfahrung oder Schulden allein bleiben und schneller auf der Straße landen. Das teilt nicht den Mantel, sondern zieht vielen die Decke weg.

Ich bin dankbar, dass sich so viele Menschen ehrenamtlich wie beruflich in Gemeinden, Diakonie und Caritas für ein menschenwürdiges Miteinander einsetzen: in der Bahnhofsmission, in der Arbeit mit Geflüchteten in Notunterkünften, in aufsuchender Sozialarbeit in von Armut geprägten Stadtteilen, in Schuldnerberatung, Tafeln oder Telefonseelsorge. Diese persönliche Zuwendung kann nicht durch sozialstaatliche Maßnahmen ersetzt werden. Aber sie ist darauf angewiesen, dass der Staat sie stärkt, fördert und unterstützt.

Am 11. November wird es an vielen Orten Umzüge zu Ehren von Martin von Tours geben. Sie sind eine geistliche Erinnerung daran, was Mitmenschlichkeit bedeutet, und eine Ermutigung zu persönlichem wie sozialpolitischem Engagement.

Beitragsbild: EKiR.de

Punkt, Komma, Strich

Punkt, Komma, Strich – eine kleine theologische Orthographie

Zeichensetzung kann Leben retten. Das wird schon an dem kleinen Satz deutlich: „Komm, wir essen, Oma!“ Fällt das zweite Komma weg, wird es für die Großmutter heikel und sie sollte sich besser nach neuen Enkeln umsehen.

Auch theologisch spielt der rechte Umgang mit den kleinen Satzzeichen eine große Rolle.

Da ist etwa der Punkt, das Lieblingskind dogmatischen Denkens. „Gott ist so. Glaube heißt dies. Punktum. Schluss.“ Er steht für ein feststellendes, behauptendes, normatives Reden und Denken. Als solcher ist der Punkt in der flüssig-flüchtigen Postmoderne in Verruf gekommen, zumindest, wenn er alleine und nicht als Triple auftritt: … Er beendet nicht nur den Satz, sondern auch den Diskurs – oder versucht es zumindest. „Roma locuta, causa finita.“ Die Problematik dessen ist spätestens seit der Reformation hinlänglich bekannt.

Umgekehrt ist aber auch das Fehlen von Punkten ein Problem. Etwa, wenn Diskussionen in Leitungsgremien weiter und weiter und immer weiter gehen und nie zum Ende kommen.

Oder wenn die Stimme in Predigten nie runtergeht,  immer oben bleibt und so eine lila Schleife bekommt. „Pastorales Schweben“ nannte das unser Rhetoriklehrer im Vikariat und hat uns dann gleich laut einen Zeitungsartikel lesen lassen: „Komm zur Sache. Mach einen Punkt.“ Der Punkt steht so eben auch für die Fähigkeit, sich klar zu positionieren. Öffentlich etwas zu bezeugen. Rede und Antwort zu stehen. Also, im besten Sinne „protestantisch“ zu sein (im Sinne des lateinischen protestari – öffentlich für etwas einstehen).

Dann gibt es da das Fragezeichen. Theologischer Ausdruck des Suchens, Zweifelns, der Anfechtung. Die Bibel beginnt mit zwei Fragen von Gott: „Wo bist du, Adam?“ und „Wo ist dein Bruder, Kain?“ Und das irdische Leben Jesu endet mit der Frage nach Gott: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Dazwischen spielt sich der gesamte Glaube ab. Der Frage wohnt eine Kraft inne, welche die Antwort oft nicht mehr besitzt. Daher ist es wichtig, Gott und uns Menschen nicht zu schnell zu verstehen.

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt, wenn man hinabsieht“ (G. Büchner), von der Tiefe Gottes ganz zu schweigen. Dafür erscheint mir das Fragezeichen im Sinne eines tiefen, existentiellen Suchens, Ringens, Forschens schon sehr angemessen. Zeit unseres Lebens bleiben Gott und wir selbst „in statu quaestionis“, fragliche Wesen.
Umgekehrt gibt es aber auch eine narzisstische Verliebtheit in den eigenen Zweifel. Man lässt alles offen, schwebt im Möglichen, flüchtet sich ins sophistische Hinterfragen bzw. in ironische Brechungen. „Ist das so?“ Wenn wir etwa zu Gott, zur Theodizee, zu Liebe und Leid und Ewigkeit nicht mehr zu sagen haben, als nur zu fragen, bleibt das unbefriedigend.

Interessant finde ich, dass Jesus in seinem irdischen Leben darauf eine eigene Antwort gegeben hat. Er hat diejenigen, denen er begegnet ist, gefragt: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Er hat einen wundertätigen Glauben in seinem Gegenüber geweckt und wirken lassen. Das war seine Antwort auf die Frage des Täufers: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Er kam, sah – und half anderen: nicht zu siegen, sondern zu lieben.

Vielleicht ist das zentralste theologische Satzzeichen aber der Gedankenstrich. Er unterbricht unser Reden und Denken. Weil das Wesen der Religion heilsame Unterbrechung ist. Er leitet einen Einschub ein, eine Parenthese. Er schafft Raum für das, was eigentlich zu sagen wäre – doch nicht von uns gesagt werden kann. Wo uns als Menschen oft nur beredetes, hoffendes Schweigen bleibt. Der Gedankenstrich steht für eine radikale Zäsur, in der Gottes Geist – wann und wo es ihm gefällt – Intelligenz verleiht: die Gabe, zwischen den Zeichen und Zeilen zu lesen, um wirklich zu verstehen. Ein Sabbat mitten im Satz, ein orthographischer Platzhalter für den Auferstehungsglauben.

Das zeigt sich exemplarisch an dem wohl „wichtigsten Gedankenstrich der Bibel“. Er steht in Psalm 22, Mitten in Vers 22. Jesus betet am Kreuz (nach Markus und Matthäus) den Anfang dieses Psalms: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Danach folgt dann im weiteren Psalm eine einzige, lange, abgründige Klage: der Betende erfährt sich als Wurm, kein Mensch, ein Spott und Hohn der Leute, auf Gott geworfen, umringt von mächtigen Büffeln, brüllenden Löwen, bösen Rotten, ausgeschüttet wie Wasser, vertrocknet wie eine Scherbe, allein, ohne Helfer, mit zertrennten, durchbohrten Gliedern, im Todesstaub.

Der Psalm bietet so die Vorlage der Passionsgeschichte: „Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.“ Ein Mensch im tiefsten Abgrund des Leidens, verlassen von Gott und aller Welt. Das geht den ganzen Psalm so bis zur ersten Hälfte von Vers 22. „Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der wilden Stiere.“ Doch dann – der Gedankenstrich –  Pause – Zäsur. „Du hast mich erhört!“ Und die weitere zweite Hälfte des Psalms ist ein einziger Lobgesang des Erhörten auf Gott: „Rühmet den HERRN!“ „Dich will ich preisen.“ „Ich will deinen Namen kundtun.“ Was damals dazwischen geschehen ist – ein priesterlicher Heilszuspruch, eine nächtliche Gebetshörung, ein Heilungswunder? – wir wissen es nicht. Ob Jesus als frommer Jude im Sterben diese Hoffnung vor Augen hatte? – ich weiß es nicht. Doch für mich ist dieser Gedankenstrich in Psalm 22, Vers 22 Inbegriff der Hoffnung auf Auferstehung. Die Nulllinie menschlichens Lebens, Handelns, Hoffens – zugleich die Baseline für Gottes Wunder. Wo wir nichts mehr zu sagen wissen, beginnt Gott heilsam zu wirken.

Wenn einem dies widerfährt, bleibt nur Dank, Staunen – und Ausrufezeichen!

„Du hast uns erlöst, du treuer Gott!“ Amen! Ausrufezeichen!


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Theologischer Impuls

Dies ist kein Liebeslied – 1. Kor 13 im Horizont sexualisierter Gewalt

Dies ist kein Liebeslied. „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, …“ Ich weiß nicht, wie oft Sie, wie oft ich diese Verse aus 1. Kor 13 schon gehört habe(n): bei Hochzeiten, in Predigten, als Lesungen – und wie oft ich schon über sie gepredigt habe, nicht nur Brautleuten:

  • dass die Liebe unerlässlich ist, eine ‚conditio sine qua non‘ von allem anderen, von meinem Reden, Glauben, Tun (V. 1-3), der „bessere Weg“ (12,31), die Grundlage aller anderen Gnadengaben (Charismen);
  • dass die Liebe selbst ein hochdynamisches Geschehen ist (V. 4-7), ein Tun und Werden, kein Sein, etwas, das sich kaum fassen, nur umkreisen lässt – wie hier per via negationis, mit insgesamt 15 Verben;
  • dass die Liebe unvergänglich ist (V. 8-13), ein Stück der Vollkommenheit Gottes in der vergänglichen Welt, der Höhepunkt in der Klimax der drei Ewigkeitsgaben von Glaube, Hoffnung, Liebe;
  • dass bei der oft diffus-konfusen Liebesrede binnenzudifferenzieren ist zwischen leidenschaftlich sexuellem Begehren (Eros), freundschaftlicher Beziehung (Philia) und liebender Selbsthinwendung (Agape);
  • dass es das dreifache Liebesgebot gibt – gegenüber Gott, meinem Nächsten und mir selbst – und dass Gott als die Liebe selbst dabei die Bedingung der Möglichkeit all unseres menschlichen Liebens ist.

Alles richtig und wichtig und gut. Doch vielleicht habe ich all das zu oft gehört und selbst gesprochen – angesichts dessen, was geschehen ist und geschieht: auch in unserer Kirche, in der Gemeinde derer, die im Lichte dieser Liebe Gottes leben. Stimmt es wirklich, was in den Versen alles von der Liebe gesagt wird? Ist es nicht gerade so, dass Gott, alias die eine, allumfassende Liebe, eben nicht alles erträgt, nicht alles glaubt, alles hofft, alles erduldet?

Nein, Gottes Liebe ist keineswegs nur immer langmütig und freundlich. Nein, sie eifert vielmehr und brennt angesichts dessen, was Menschen erleiden mussten, wie Glaube, Kirche, Gott missbraucht werden, um ihnen Gewalt anzutun – mitten in unseren Gemeinden. Ich glaube, dass Gott, alias die eine, allumfassende Liebe, die Schnauze voll und überhaupt genug hat, wie all dies jahrzehntelang verheimlicht wurde, wie wir es nicht wahrhaben wollten, dass Menschen mit ihrem Leid alleine geblieben sind. „Nein. Das kann nicht sein. Nicht N.N. Der ist so ein charismatischer Chorleiter, Küster, Presbyter, Jugendmitarbeiter, Pfarrer oder Lehrer.“ Wir schwiegen, wo wir hätten reden sollen. Und wo wir schweigen sollten, reden wir und reden und reden. Pastorale Deutungsmacht. Dies ist kein Liebeslied.

Wir haben in unseren Gemeinden Liebe mit Harmonie verwechselt. Der Wunsch nach einem kirchlichen Bullerbü, so hat es eine Betroffene von sexualisierter Gewalt beschrieben, hat uns blind gemacht. Idealisiertes Selbstbild. Die Unfähigkeit, Schuld klar zu benennen und mit ihr umzugehen. Vergebung ohne wirkliche Buße. Und immer wieder Worte und noch mehr Worte – 15 Verben – statt Taten. „Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Nein, das hat nichts mit Liebe zu tun, wenn Grenzen verletzt, Macht ausgenutzt, Abhängigkeiten geschaffen werden – auch wenn Täter dies Betroffenen oft zu vermitteln suchen. Und es hat nichts mit Liebe zu tun, wenn Gewalt danach von anderen ignoriert bzw. kaschiert, Täter und Betroffene verwechselt werden, wenn die Wahrheit verschleiert wird – wie „durch einen Spiegel in einem dunklen Bild“. „Sie rechnet das Böse nicht zu.“ Doch, das muss sie – weil es um Verantwortung geht. „Sie freut sich aber an der Wahrheit.“ Ja, das tut die Liebe. Und darum braucht es Aufklärung dort, wo Missbrauch und sexualisierte Gewalt geschehen sind. Weil Betroffene ein Anrecht darauf haben. Weil nur so neuer Missbrauch verhindert werden kann. Weil es das Schweigen auch für andere bricht und das Tabu gelöst wird, über solche Taten nicht zu sprechen. Dies ist kein Liebeslied.

Es fällt auf, dass in 1. Kor 13 recht unvermittelt vom Kindsein die Rede ist: „Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.“ Was sagt das aus über das Verhältnis von Liebe und Erkenntnis und über den Umgang mit Grenzen? Nein, Kinder, auch Jugendliche können nicht immer begreifen, was ihnen geschieht, was Liebe ist und was nicht, wo sexualisierte Gewalt beginnt. Deshalb gibt es das Gebot der Zurückhaltung, der Abstinenz. Deshalb sind sie besonders zu schützen. Denn für Betroffene gilt eben nicht, dass sie als Erwachsene abtun konnten, was ihnen als Kind geschehen ist. Oft wurde der Schmerz vielmehr tief in der Seele eingekapselt, weil er sonst nicht auszuhalten war. „Die Zeit heilt keineswegs alle Wunden.“ So der Titel der Handreichung in der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Thema aus dem Jahr 2012.

Sexualisierte Gewalt ist viel verbreiteter in unseren Familien, Vereinen, Schulen, Chören und in unseren Gemeinden, als früher oft gedacht. Angesichts dessen ist es wichtig, Texte wie 1. Kor 13 neu zu lesen. Etwa die lange Liste der Dinge, die Liebe nicht tut: Liebe verletzt nicht die körperlichen und seelischen Grenzen anderer. Liebe missbraucht keine Macht. Liebe stellt sich nicht blind, wo anderen Unrecht geschieht. Liebe steht nicht für billige Gnade. Die via negationis als notwendiges Korrektiv, weil Liebe und Gott zu den am häufigsten missbrauchten Worten gehören, in deren Namen anderen Unrecht getan wurde und wird.

Wenn kein Liebeslied, was ist es dann? Vielleicht eine kritische Checkliste, um uns vor Liebeskitsch zu hüten, gerade auch theologischem. Um zu erkennen, wo die Grenzen unseres Liebens sind. Dass Gottes Liebe und unser Lieben zu unterscheiden sind wie Himmel und Erde. Und um uns ehrlich zu machen im Blick auf die Wirklichkeit von sexualisierter Gewalt auch in unserer Kirche. Damit unser Reden eben nicht zum tönenden Erz oder zur klingenden Schelle für andere wird. Damit unser Glaube und helfendes Handeln nicht hohl werden. Davor behüte uns Gott als die eine, allumfassende Liebe.


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Mittsommernacht, 21. Juni

Mittsommernacht:
Wir machen uns wieder auf den Weg.

Eine Wanderung von Frauen für Frauen.
Momente der Leichtigkeit, des Gesprächs,
der Stille, der Besinnung, des Gebets.
Momente mit Strahlkraft.

21. Juni 2024 // 19:00 Uhr bis etwa 21.30 Uhr
Start- und Endpunkt Parkplatz Bergsegen Hoffnungsthal

Bitte bringt euch etwas zu trinken mit und zieht feste Schuhe an // Gottmomente@gmail.com


Eine Initiative der GottMomente.
Das sind Frauen aus der evangelischen und katholischen Kircher in Hoffnungsthal/Volberg.

Ein Blick auf Pfingsten

Auferstehen hier und jetzt – ein anderer Blick auf Pfingsten

Ich liebe ja Pfingsten. Es ist Mai. Das Wetter ist schön – meistens zumindest. Gottesdienste und Gemeindefeste finden oft im Grünen statt. Wir feiern den Geburtstag der Kirche. Gottes Geist kommt wie Feuerflammen auf die Jünger/innen. Sie sprechen in anderen Sprachen, verstehen einander plötzlich. Pfingsten – das ist Inspiration, Geisteskraft, Empowerment, Leidenschaft, Aufbruch, Energie, Trotzkraft, Hoffnung, Zuversicht. Ein bisschen wie ein ESC der ersten Christenheit. Mit Bühnenshow und Völkerverständigung: „Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.“ Wow!

Natürlich lässt sich jetzt mit Brecht rein finanziell einwenden: „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten.“ Okay. Aber Pfingsten ist ja eben bewusst auch nicht materialistisch. Es geht um Geist, Gottes Geist. Gott schenkt sich uns in seinem Geist – und uns einander durch seinen Geist. Pfingsten ist pfiffig, pfundig, geistbeseelt. Das Power-Fest im Kirchenjahr. Ich liebe es.

Doch – es gibt noch eine ganz andere Seite von Pfingsten. Eine, die für unsere Zeit mit ihrer Dauer-Poly-Krise neu von Bedeutung ist. Dabei geht es um die Verarbeitung von Trauer, Verlust, Traumata. Um dunkle, schwere Erfahrungen:

  • Wenn eben kein Geist mehr da ist. Kein Leben, keine Kraft.
  • Wenn alles erstirbt, selbst der letzte Funken Hoffnung, es könnte einmal wieder anders werden.
  • Wenn selbst vom eigenen Körper nur noch das Gerippe bleibt. Nicht mal Haut, nur noch Knochen.

Ein solch anderen Blick auf Pfingsten bietet die Geschichte in Hesekiel 37 (es lohnt, sie einmal ganz zu lesen). Hesekiel schreibt hier in eindrücklichen, heftigen Bildern von einer traumatischen Erfahrung fast wie bei einem Albtraum: Gottes Geist führt ihn über ein Totenfeld. Verdorrte Knochen, soweit das Auge reicht. Wenig pfingstliche Maigefühle, sehr materiell und sehr trostlos. Bilder, wie wir sie von den Kriegsschauplätzen unserer Tage kennen. Aus zerstörten Dörfern und Städten in der Ukraine, in Syrien, Myanmar, Afghanistan, im Kongo, Jemen, in Israel und Palästina. Von Orten, wo ein ganzes Volk seine Kraft und Hoffnung verliert. Wo nichts mehr ist als Tod und Verwüstung. Orte traumatischer Erfahrungen. Bilder, die ich am liebsten gar nicht sehen würde und denen ich doch nicht ausweichen kann, die mich nicht loslassen.

Dann beginnt der Geist zu Hesekiel zu reden: „Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden?“ Was soll und kann ein Mensch dazu sagen? Die harte Wirklichkeit des Todes vor Augen. Die Frage des Geistes Gottes im Ohr. Hesekiels Antwort ist ausweichend, so wie es Theolog/innen mitunter gerne tun. Es gibt Zeiten, da verschlägt es selbst dem Propheten die Worte.

Und wenn ich ehrlich bin, geht es mir bei vielen Nachrichten oft wie Hesekiel. „Du Menschenkind, meinst du wohl, dass aus all den Kriegen, der Klimakrise und den Katastrophen wieder Gutes entstehen kann?“ Und dann stehe ich da und weiß auch nichts zu antworten. Rede mich raus mit frommen Formeln: „Gott hält uns alle in seiner Hand. Die Liebe ist stärker als der Tod. Christus steht an der Seite der Leidenden.“ Alles fromm und richtig und doch irgendwie leer. „Und ich spreche: „Herr, mein Gott, du weißt es.“ „Gott, ich habe keine Ahnung. Keine Hoffnung. Nichts, was ich irgendwie sagen oder beitragen könnte. Du, Gott, bist alles, was noch bleibt, um nicht völlig zu verzweifeln. Auch, wenn ich nicht weiß, was, wann, wie, warum.“

Doch dann, dann beginnt eine der wohl stärksten Hoffnungs- und Verwandlungsgeschichten der ganzen Bibel. Hesekiel, der zweifelnde, traumatisierte, sprachlose Propheten, wird zum geisterfüllten Boten Gottes. Er beginnt im Auftrag Gottes zu reden. Und das Totenfeld steht auf und wird zu einem neuen Volk Israel.
Es geschieht langsam, Schritt für Schritt. Drei Anläufe braucht es, bis die wundervolle Verwandlung geschieht.

  • Erst spricht Hesekiel zu den Knochen – und sie bekommen neu Sehnen, Fleisch und Haut.
  • Dann spricht Hesekiel zu dem Wind, dem Odem – und die Körper werden neu beseelt und mit Leben erfüllt.
  • Und schließlich spricht Hesekiel zum Volk Israel im Exil – auf dass sie auferstehen: mitten im Leben zu neuem Leben.

Die Geschichte ist erzählt wie die Schöpfung am Anfang der Bibel. Hier wie dort spricht Gott – und siehe: es geschieht. Hier wie dort ist es Gottes Geist, der über dem Dunklen schwebt. Dort über der Finsternis, hier über dem Totenfeld. Hier wie dort entsteht erst durch den Odem aus der toten Materie neues Leben. Die Schöpfungsgeschichte stammt aus derselben Zeit wie der Prophet Hesekiel und auch sie ist erzählt, um dem Volk Israel im Exil neue Hoffnung und Halt zu geben.
Der entscheidende Unterschied ist jedoch die Rolle des Propheten: Hesekiel wird gleichsam zum Mitschöpfer Gottes. Er spricht aus, was der Geist ihm sagt. Und siehe: es geschieht. Die Gebeine bekommen Sehnen, Fleisch und Haut. Die Körper bekommen eine Seele. Das Volk Israel bekommt neue Hoffnung.

Darum geht es an Pfingsten. Es geht um nicht weniger als um Auferstehung mitten im Leben. Und es geht darum, dass wir durch Gottes Geist daran mitwirken.
Bei Auferstehung denken wir ja meist an die Zeit nach dem Tod. Irgendwann, dereinst, am jüngsten Tag, jenseits all unserer Erfahrung. Das ist wichtig und tröstlich. Dass der Tod nicht das Letzte ist. Aber es ist eben auch sehr weit weg. Oft fällt es dagegen viel schwerer, an die Auferstehung im Hier und Jetzt zu glauben, in meinem Leben, in unserer Gesellschaft.

„Du Menschenkind, meinst du wohl, dass aus all dem Schlamassel Deines Lebens, dieser Gesellschaft wieder Leben entstehen kann?“
Das ist gefährlich unmittelbar. Doch so ist das mit Glaube, Liebe, Hoffnung: Sie werden erst spannend, wenn es konkret wird.
Genau das geschieht an Pfingsten. Gottes Liebe wird konkret. In mir. In Dir. In uns. Durch seinen Geist: „Geh hin und sprich zu den Einsamen, dass sie nicht alleine sind.

  • Zu den Flüchtlingen, dass sie bei uns Heimat haben.
  • Zu den Armen, dass wir mit ihnen teilen.
  • Zu denen, die alle Hoffnung verloren haben, dass es gut wird.

Und werde selbst Teil von Gottes neuer Schöpfung. Durch Gottes Geist.“

Ich liebe Pfingsten. Das Powerfest im Kirchenjahr. Weil es eben mehr ist als eine gute Laune-ESC-Party. Das Pfingstfest hilft mir, an Wunder zu glauben. Dem Wunder, dass unsere Welt anders werden kann. Dass ich selbst anders leben kann. Dass es Hoffnung gibt wider all meine Hoffnungslosigkeit. Dass Gott in uns ist und uns mit all unserem Schlamassel nicht alleine lässt.

Dafür kann ich dann auch gerne auf dicke Geschenke verzichten.

Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest!

Theologische Impulse (139) von Präses Dr. Thorsten Latzel

Andacht Plus X

An jedem ersten Freitag im Monat findet in der Christus-Kirche in Forsbach im Anschluss an die Friedensandacht ein „Plus X“ statt.
„Plus X“ sind Veranstaltungen in ganz unterschiedlichen Formen, zu denen jede und jeder herzlich eingeladen ist.

06.12.24: Filmabend
10.01.25: Spieleabend
07.02.25: Taizé-Abend.

Jeweils am ersten Freitag des Monats.

Am 24.12. und 31.12. findet keine Andacht statt!

Anmeldung und Info jeweils bei kjung7@web.de.

Andacht Plus X 08.03.

Herzliche Einladung zum Taizé Abend

Am Freitag, 8.März um 19 Uhr (bis ca 21 Uhr) in der Christuskirche Forsbach

Musik, Texte, Gebete, Bewegung in Anlehnung an die Traditionen aus der ökumenischen Gemeinschaft in Frankreich

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Ökumenischer Friedensgottesdienst 17.11. um 18 Uhr St.Nikolaus v.Tolentino

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine geht in den zweiten Winter, und ganz aktuell kommen nach dem Angriff auf Israel tausende von Menschen im Nahen Osten zu Tode.
Es ist zum Verzweifeln.
In dieser Situation möchten wir zum Friedensgottesdienst einladen.

Pfarrer Armin Kopper von der evangelischen Gemeinde und Heinrich Schewe aus der katholischen Gemeinde gestalten am Freitag den 17.November um 18 Uhr in St.Nikolaus v.Tolentino (Hauptstr. 64) dieses Angebot.

Alle sind zum Mitbeten & Mitsingen eingeladen.

Bild: Ralf Lotys (Sicherlich), CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73139633