Ein Blick auf Pfingsten

Auferstehen hier und jetzt – ein anderer Blick auf Pfingsten

Ich liebe ja Pfingsten. Es ist Mai. Das Wetter ist schön – meistens zumindest. Gottesdienste und Gemeindefeste finden oft im Grünen statt. Wir feiern den Geburtstag der Kirche. Gottes Geist kommt wie Feuerflammen auf die Jünger/innen. Sie sprechen in anderen Sprachen, verstehen einander plötzlich. Pfingsten – das ist Inspiration, Geisteskraft, Empowerment, Leidenschaft, Aufbruch, Energie, Trotzkraft, Hoffnung, Zuversicht. Ein bisschen wie ein ESC der ersten Christenheit. Mit Bühnenshow und Völkerverständigung: „Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden.“ Wow!

Natürlich lässt sich jetzt mit Brecht rein finanziell einwenden: „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten.“ Okay. Aber Pfingsten ist ja eben bewusst auch nicht materialistisch. Es geht um Geist, Gottes Geist. Gott schenkt sich uns in seinem Geist – und uns einander durch seinen Geist. Pfingsten ist pfiffig, pfundig, geistbeseelt. Das Power-Fest im Kirchenjahr. Ich liebe es.

Doch – es gibt noch eine ganz andere Seite von Pfingsten. Eine, die für unsere Zeit mit ihrer Dauer-Poly-Krise neu von Bedeutung ist. Dabei geht es um die Verarbeitung von Trauer, Verlust, Traumata. Um dunkle, schwere Erfahrungen:

  • Wenn eben kein Geist mehr da ist. Kein Leben, keine Kraft.
  • Wenn alles erstirbt, selbst der letzte Funken Hoffnung, es könnte einmal wieder anders werden.
  • Wenn selbst vom eigenen Körper nur noch das Gerippe bleibt. Nicht mal Haut, nur noch Knochen.

Ein solch anderen Blick auf Pfingsten bietet die Geschichte in Hesekiel 37 (es lohnt, sie einmal ganz zu lesen). Hesekiel schreibt hier in eindrücklichen, heftigen Bildern von einer traumatischen Erfahrung fast wie bei einem Albtraum: Gottes Geist führt ihn über ein Totenfeld. Verdorrte Knochen, soweit das Auge reicht. Wenig pfingstliche Maigefühle, sehr materiell und sehr trostlos. Bilder, wie wir sie von den Kriegsschauplätzen unserer Tage kennen. Aus zerstörten Dörfern und Städten in der Ukraine, in Syrien, Myanmar, Afghanistan, im Kongo, Jemen, in Israel und Palästina. Von Orten, wo ein ganzes Volk seine Kraft und Hoffnung verliert. Wo nichts mehr ist als Tod und Verwüstung. Orte traumatischer Erfahrungen. Bilder, die ich am liebsten gar nicht sehen würde und denen ich doch nicht ausweichen kann, die mich nicht loslassen.

Dann beginnt der Geist zu Hesekiel zu reden: „Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden?“ Was soll und kann ein Mensch dazu sagen? Die harte Wirklichkeit des Todes vor Augen. Die Frage des Geistes Gottes im Ohr. Hesekiels Antwort ist ausweichend, so wie es Theolog/innen mitunter gerne tun. Es gibt Zeiten, da verschlägt es selbst dem Propheten die Worte.

Und wenn ich ehrlich bin, geht es mir bei vielen Nachrichten oft wie Hesekiel. „Du Menschenkind, meinst du wohl, dass aus all den Kriegen, der Klimakrise und den Katastrophen wieder Gutes entstehen kann?“ Und dann stehe ich da und weiß auch nichts zu antworten. Rede mich raus mit frommen Formeln: „Gott hält uns alle in seiner Hand. Die Liebe ist stärker als der Tod. Christus steht an der Seite der Leidenden.“ Alles fromm und richtig und doch irgendwie leer. „Und ich spreche: „Herr, mein Gott, du weißt es.“ „Gott, ich habe keine Ahnung. Keine Hoffnung. Nichts, was ich irgendwie sagen oder beitragen könnte. Du, Gott, bist alles, was noch bleibt, um nicht völlig zu verzweifeln. Auch, wenn ich nicht weiß, was, wann, wie, warum.“

Doch dann, dann beginnt eine der wohl stärksten Hoffnungs- und Verwandlungsgeschichten der ganzen Bibel. Hesekiel, der zweifelnde, traumatisierte, sprachlose Propheten, wird zum geisterfüllten Boten Gottes. Er beginnt im Auftrag Gottes zu reden. Und das Totenfeld steht auf und wird zu einem neuen Volk Israel.
Es geschieht langsam, Schritt für Schritt. Drei Anläufe braucht es, bis die wundervolle Verwandlung geschieht.

  • Erst spricht Hesekiel zu den Knochen – und sie bekommen neu Sehnen, Fleisch und Haut.
  • Dann spricht Hesekiel zu dem Wind, dem Odem – und die Körper werden neu beseelt und mit Leben erfüllt.
  • Und schließlich spricht Hesekiel zum Volk Israel im Exil – auf dass sie auferstehen: mitten im Leben zu neuem Leben.

Die Geschichte ist erzählt wie die Schöpfung am Anfang der Bibel. Hier wie dort spricht Gott – und siehe: es geschieht. Hier wie dort ist es Gottes Geist, der über dem Dunklen schwebt. Dort über der Finsternis, hier über dem Totenfeld. Hier wie dort entsteht erst durch den Odem aus der toten Materie neues Leben. Die Schöpfungsgeschichte stammt aus derselben Zeit wie der Prophet Hesekiel und auch sie ist erzählt, um dem Volk Israel im Exil neue Hoffnung und Halt zu geben.
Der entscheidende Unterschied ist jedoch die Rolle des Propheten: Hesekiel wird gleichsam zum Mitschöpfer Gottes. Er spricht aus, was der Geist ihm sagt. Und siehe: es geschieht. Die Gebeine bekommen Sehnen, Fleisch und Haut. Die Körper bekommen eine Seele. Das Volk Israel bekommt neue Hoffnung.

Darum geht es an Pfingsten. Es geht um nicht weniger als um Auferstehung mitten im Leben. Und es geht darum, dass wir durch Gottes Geist daran mitwirken.
Bei Auferstehung denken wir ja meist an die Zeit nach dem Tod. Irgendwann, dereinst, am jüngsten Tag, jenseits all unserer Erfahrung. Das ist wichtig und tröstlich. Dass der Tod nicht das Letzte ist. Aber es ist eben auch sehr weit weg. Oft fällt es dagegen viel schwerer, an die Auferstehung im Hier und Jetzt zu glauben, in meinem Leben, in unserer Gesellschaft.

„Du Menschenkind, meinst du wohl, dass aus all dem Schlamassel Deines Lebens, dieser Gesellschaft wieder Leben entstehen kann?“
Das ist gefährlich unmittelbar. Doch so ist das mit Glaube, Liebe, Hoffnung: Sie werden erst spannend, wenn es konkret wird.
Genau das geschieht an Pfingsten. Gottes Liebe wird konkret. In mir. In Dir. In uns. Durch seinen Geist: „Geh hin und sprich zu den Einsamen, dass sie nicht alleine sind.

  • Zu den Flüchtlingen, dass sie bei uns Heimat haben.
  • Zu den Armen, dass wir mit ihnen teilen.
  • Zu denen, die alle Hoffnung verloren haben, dass es gut wird.

Und werde selbst Teil von Gottes neuer Schöpfung. Durch Gottes Geist.“

Ich liebe Pfingsten. Das Powerfest im Kirchenjahr. Weil es eben mehr ist als eine gute Laune-ESC-Party. Das Pfingstfest hilft mir, an Wunder zu glauben. Dem Wunder, dass unsere Welt anders werden kann. Dass ich selbst anders leben kann. Dass es Hoffnung gibt wider all meine Hoffnungslosigkeit. Dass Gott in uns ist und uns mit all unserem Schlamassel nicht alleine lässt.

Dafür kann ich dann auch gerne auf dicke Geschenke verzichten.

Ihnen ein gesegnetes Pfingstfest!

Theologische Impulse (139) von Präses Dr. Thorsten Latzel